Vom Erfüllen und Scheitern der Hoffnung, als Deutsche unter Deutschen zu leben. Deutsche aus der ehemaligen Sowjetunion in Bayern
Unter Anwendung eines ethnologischen Forschungsdesigns untersucht das vorliegende Projekt die Prozesse der politisierten Identitätsbildung bei den Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion in Bayern bzw. Deutschland von den 1990er Jahren bis in die Gegenwart. Das Projekt fragt nach Effekten der sich wandelnden Konditionen einer wie auch immer gewählten „Privilegierung“ sowie vielfachen und ambivalenten Positionierungen als eigenwanderte Deutsche in Deutschland. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den fehlenden Verbindungen zwischen den Praktiken und Vorstellungen, die für diese Eingewanderten und deren Nachfolgegenerationen mit den Diskussionen über Staatsbürgerschaft einhergehen.
Aktuell werden die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland als „alte“, „gut integrierte“ und „etablierte“ Gruppe von der Aufnahmegesellschaft wahrgenommen. Die Personen aus der obengenannten Gruppe selbst nehmen sowohl den Zustand des eigenen Integriertseins, als auch damit verbundene Erfolge oder Möglichkeiten ziemlich unterschiedlich wahr. Daher ist es wichtig, von einer dominanten und generalisierenden mehrheitsgesellschaftlich-politischen Perspektive auf Integration, Motivation und Erfolg abzurücken und sich stattdessen auf die Komplexität und Ambiguität der Erwartungen und Bestrebungen bei den Eingewanderten, in diesem konkreten Fall bei den Deutschen, zu konzentrieren.
Dabei sollte die vielschichtige Natur der Veränderungen nach der Ausreise auf individueller und kollektiver Ebene berücksichtigt werden. Diese Veränderungen sind sowohl von oben, aus staatlich-institutioneller Perspektive, als auch von unten, aus der persönlichen bzw. Gruppen-Perspektive zu analysieren. Als Beispiele wären Gesetzesänderungen oder die Installation von spezifischen Programmen speziell für diese Einwanderergruppe einerseits und die Wahrnehmung dieser andererseits zu nennen. Hierbei sind auch Differenzen etwa zwischen Generationen und zwischen Geschlechtern zu berücksichtigen.
Ähnlich wie beim Zustand des Integriertseins nimmt die Wahrnehmung und Definition des Deutschseins verschiedene Dimensionen der Selbstidentifikation an: deutsche Vorfahren zu haben, sich als Deutsche/r fühlen; in Deutschland aufgewachsen zu sein, einen deutschen Pass zu besitzen etc. Bei Deutschen aus der ehemaligen UdSSR und ihren Nachkommen wurden zum Zeitpunkt der Übersiedlung ab den 1990er Jahren die Verbindungen zwischen den Praktiken und Vorstellungen von Staatsbürgerschaft und Deutschsein überwiegend abstammungsorientiert konnotiert und definiert. Wie sieht die Lage nun nach etwa 30 Jahren diesbezüglich aus? Welche Vorstellungen von Zugehörigkeit im Spannungsfeld von abstammungsbezogenen, kulturellen und politischen Konzeptionen prägen die Wahrnehmung unter dieser Gruppe in Deutschland? In diesem Zusammenhang ist ebenfalls eine zu beobachtende Re-Ethnisierung-, aber auch „Re-Migrantisierung“ unter den Deutschen aus der ehemaligen UdSSR zu analysieren.
Das geplante Vorhaben wird mittels verschiedener qualitativer Methoden durchgeführt: teilnehmende Beobachtung, biographische und themenzentrierte Interviews das Führen von Tagebüchern, Recherche und Analyse von Informationen der öffentlichen Medien und politischen Maßnahmen, die sich auf die Fokusgruppe beziehen (Gesetze, Direktiven, Projekte etc.), Oral History etc.
Projektbezogene Aktivitäten
„Haus der Heimat Nürnberg“ berichtet
Was erfüllt dich? Was gibt dir Hoffnung? Wie war dein Weg nach der Ankunft in der BRD in den 90ern bis heute? Bezeichnest du dich als „Russlanddeutsche“? Was bedeutet das für dich? Was bedeutet es eine deutsche Staatsbürgerin zu sein und noch viele Fragen mehr, die die Wissenschaftlerin Dr. Nino Aivazishvili-Gehne vom IOS Regensburg Natalie Keller als Zugewanderte aus Kasachstan und Geschäftsführerin des HdH letzte Woche gestellt hat. Sie forscht im Rahmen des Forschungsprojektes „Kultur und Erinnerung. Heimatvertriebene und Aussiedler in Bayern“ zu Identitätsbildung der zugewanderten Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion von den 90ern bis heute. Gar nicht so einfach eine prompte Antwort zu finden, um so wichtiger aber diese Arbeit, denn seit den 90ern ist vieles passiert bei den Angekommenen und ihren Nachfolgenerationen aus der ehemaligen Sowjetunion.
Wir sind gespannt auf die Forschungsarbeit, die nächstes Jahr erscheint.